Aiki Mira: Proxi: eine Endzeit-Utopie

Buchrezension von Sabine Seyfarth

Manchmal ist es gut, gezwungen zu sein, ein Buch zu lesen. Aiki Miras Geschichten gefallen mir meist sehr. Sie kann Geschichten schreiben, die berühren und mehrere Ebenen haben. Ihre ersten Bücher dagegen haben mich nicht begeistert. (aber Andreas Eschbach schon, ich war wohl zu unbedarft und mit Ursula Le Guin hätte ich sie garantiert nicht verglichen) So habe ich dann Neurobiest nicht gelesen. Da ich aber in der Jury des DSFP bin musste ich jetzt unter anderem auch Proxi lesen. Ich gestehe, dass es eine Weile gebraucht hat, bis ich die Personen für mich entschlüsselt hatte und anfing mit ihnen zu leiden und zu lieben. Liegt es daran, dass ich einfach nur eine Frau bin, eventuell PAN, aber von allen anderen Geschlechtern keine eigenen Erfahrungen habe? Oder liegt es an der futuristischen Sprache? Oder an der völlig anderen Welt und dem ebenso völlig anderen Verständniss der Welt? Sicher kommt alles zusammen und ich war zunächst als Leser völlig überfordert. Aber dann hatte ich mich eingelesen, konnte die Sprache einordnen und das Weltverständnis nachfühlen.

Worum geht es? Ich weiß nicht wer von euch Neurobiest gelesen hat, dieser Roman ist wohl eine gute Vorlage, wenn man Proxi lesen möchte. Proxi ist eine virtuelle Welt. In dieser leben unter anderem die drei Protagonisten, Tell, der dort Monae ist und als Sängerin Erfolge feiert, Kawi, eine Gamerin, die hauptsächlich als Panther durch virtuelle Welten geht und die Kraft und Geschmeidigkeit dieser Raubkatze liebt und schließlich Dion - eine Synth. Letztere ist in einem Labor aufgewachsen und wird nach Proxi geschickt als Versuchsobjekt. Wenn sie nicht ordentlich arbeitet wird sie bestraft. Sie setzt einen Virus frei, der Proxi zerstört und wird von Willa, die für sie verantwortlich ist, frei gelassen. So trifft sie auf Tell und Kawi. Diese drei Personen ziehen gemeinsam los um Proxi zu retten, denn es gibt im Totpunkt der Welt ein update. Aber Kawi und Dion haben unterschiedliche Ziele. Unterwegs lernen sie die reale Welt kennen, die gefährlich ist, aber auch auf ihre Weise schön. Jeder von den Dreien hat persönliche Probleme und die Beziehungen sind teilweise mit Vorurteilen belastet. Wenn man sich als Leser auf diese Reise und die Personen einlässt erlebt man kleine Wunder und vielleicht fängt man an auch die eigene Welt anders zu sehen. Ich meine Damit nicht, unbedingt zum Klimaktivisten zu werden, aber das Wunder der Natur kommt mit dem Roman in kleinen Momenten zum Leser, in einer Umwelt, in der keiner von uns leben möchte.

Aiki hat hier das vervollkommnet, was mich in den ersten Romanen gestört hat, weil ich es unharmonisch und übertrieben fand und auch unoriginell. In diesem Roman schafft sie eine Welt voller Leben, die eigentlich lebensfeindlich ist. Es ist wirklich eine apokalyptische Utopie und es ist ihr meiner Meinung nach sehr gelungen dies zu schildern. Sie lässt eine Sprache entstehen, die aus verschiedenen Sprachen zusammengeflickt ist, nicht kunstvoll wie bei Esperanto, sondern anscheinend natürlich gewachsen, vor allem weil alle Menschen sich in virtuellen Welten verstehen. Sie zeigt die Wirkung von Musik, die Wirkung des Glaubens an die eigene Person, die Möglichkeit, das in die Realität zu holen, was man in der virtuellen Welt auslebt. Sehr überzeugend wird die Wandlung des Denkens der Personen gezeigt. Keine großen Parolen, sondern leise teilweise versteckte Beziehungen, eine Liebe zu dritt, die Frage nach Menschlichkeit, nach freiem Willen werden unaufdringlich diskutiert.

Der Roman wirkt für mich überzeugender, weil sich Aiki diesmal auf die drei Personen beschränkt, was es glaubhaft macht, dass sie alle auf ihre Weise queer sind. Meiner Meinung nach gelingt es ihr auch sehr gut diese Queerness verständlich und nachvollziehbar zu machen. Ein Abenteuer auch für den Leser. Eine Reise, die genug an Spannung aufweist. Auch wenn es eine Reise zum Totpunkt ist, endet der Roman in einer Utopie.

Der Roman ist mit Recht mit dem KLP ausgezeichnet, vom DSFP nominiert worden und eine Leseempfehlung von mir.

Dt. Erstausgabe, FISCHER Tor 2024, Taschenbuch, ISBN 978-3596709786, 336 Seiten.

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© Michael Baumgartner